Deutsches Idyll: Der Kleingarten und seine Geschichte

Laube, Pacht und strenge Regeln: Der Kleingartenverein gilt als typisch deutsche Institution. Tatsächlich gibt es nirgendwo in Europa mehr Schrebergärten als in Deutschland. Warum sie in unserer Kultur so fest verankert sind.

 

Sie sind grünes Idyll, Refugium, Nahrungsquelle, ein Miniaturabbild des Lebens in Deutschland: Kleingärten. Zwar gibt es sie auch in anderen europäischen Ländern, doch nirgendwo ist ihre Zahl so groß wie hierzulande: Rund 900.000 Parzellen sind derzeit in festen Gärtnerhänden.

 

 

Auf einer Gesamtfläche von etwa 44.000 Hektar hegen und pflegen Pächter*innen ihre Schollen – und sie kommen nicht allein, sondern bringen Freunde und Familie mit. „Wir gehen davon aus, dass etwa 5 Millionen Menschen in Deutschland Kleingärten nutzen“, sagt Eva Foos, wissenschaftliche Mitarbeiterin des Bundesverbands der Kleingartenvereine Deutschlands e.V. (BKD), in dem der größte Teil der Anlagen organisiert ist.

 

 

Kleingartenvereine sind nicht nur wichtig für die kommunale grüne Infrastruktur und die Artenvielfalt, sie sind auch Orte der Begegnungen und haben einen festen Platz in der deutschen Kultur. Gleichzeitig werden sie gern als Paradebeispiel für die mutmaßlich typisch deutsche Liebe zu Regeln und Vorschriften herangezogen. 

 

Schließlich gibt es für Kleingärten sogar ein eigenes Gesetz: das Bundeskleingartengesetz (BKleinG). Im ersten Paragraphen definiert es genau, was ein Kleingarten überhaupt ist: Ein Garten, der dem Nutzer zur nichterwerbsmäßigen gärtnerischen Nutzung, insbesondere zur Gewinnung von Gartenbauerzeugnissen für den Eigenbedarf, und zur Erholung dient und in einer Anlage liegt, in der mehrere Einzelgärten mit gemeinschaftlichen Einrichtungen zusammengefasst sind.

 

 

Diese gesetzliche Vorgabe ist Grundlage für bestimmte Vorteile, die Pächter*innen von Kleingärten haben: Kündigungsschutz für ihre Gärten und eine unschlagbar günstige Pacht von durchschnittlich 18 Cent pro Quadratmeter im Jahr. Um diese Sonderbehandlung zu verstehen, muss man einen Blick zurück werfen, denn, so Foos „was die Kleingärten so günstig macht und gesetzlich schützt, ist ihr geschichtlicher Ursprung.“

 

Kleingarten historisch: sechs Ursprungslinien

Hervorgegangen ist das Kleingartenwesen, wie wir es heute kennen, aus sechs verschiedenen Ursprungslinien, die auf unterschiedlichen Bedürfnissen gründeten. Vereine der Schrebergarten- und Naturheilbewegung pachteten Grundstücke zunächst rein zum Zweck der Erholung und Bewegung an der frischen Luft. Ganz nach dem Motto: Raus aus der Stadt, rein in die Natur.

 

In Armen- und Arbeitergärten stand hingegen die Selbstversorgung im Vordergrund. „Die Ursprungsidee war, allen Menschen sozial gerecht die Möglichkeit zu bieten, für die eigene Ernährung und wenig Geld Lebensmittel anzubauen“, sagt Foos.

 

Ausschließlich aus der Not geboren waren die Berliner Laubenkolonien. Ende des 19. Jahrhunderts war die Wohnungsnot in der Stadt so groß, dass arme Menschen auf Freiflächen zogen, dort Lebensmittel anbauten, um nicht zu verhungern, und Bretterbuden errichteten, in denen sie wohnten. „Das waren teilweise unhaltbare Zustände, es ging ums nackte Überleben“, sagt Caterina Paetzelt, Leiterin des Deutschen Kleingärtnermuseums in Leipzig.

 

 

Doch es sollten noch einige Jahrzehnte vergehen, bevor sich die sechs Ursprünge zu einer großen Organisation verbanden. „Im Prinzip sind alle Linien erst einmal parallel zueinander gelaufen – immer mit der Frage, wie man das Land weiter pachten kann“, erklärt Paetzelt. 

 

 

Schon damals gab es Flächendruck und keinerlei Rechtssicherheit, sodass Pächter*innen sich auf das Wohlwollen der Besitzer*innen des Landes, auf dem ihre Gärten lagen, verlassen mussten. Weil man gemeinsam stärker ist, schlossen sich die vorhandenen Strukturen – sogar die autonomen Laubenkolonisten – in übergeordneten Verbänden zusammen und dem übergeordneten Bundeskleingartenverbund an, aus dem im Jahr 1921 der Reichsverband der Kleingartenvereine hervorging.

 

 

„Manche Vereine nannten sich zuvor noch Schrebergartenverein oder Naturheilverein, sind dann aber ab 1921 dazu übergegangen, Kleingartenverein zu sagen“, so Paetzelt. „Ab 1933 gab es dann definitiv nur noch Kleingartenanlagen oder -vereine.“

 

Von der Selbstversorgung zur Ankaufstelle

Nach der Teilung Deutschlands spielten Kleingärten im Osten des Landes für die Ernährung der Bevölkerung eine wesentliche Rolle. Während das Wirtschaftswunder den Menschen in der BRD volle Regale bescherte, förderte die DDR-Führung den Anbau von Obst und Gemüse auf privaten Parzellen – denn Importe waren teuer oder nicht möglich. „Viele Dinge gab es dann eben nur in Kleingärten: Kirschen, Erdbeeren, teures Gemüse“, sagt Paetzelt. Überschüsse ihrer Ernte gaben Pächter*innen gegen Bezahlung in Ankaufstellen ab – oder tauschten sie privat gegen Dinge des täglichen Bedarfs.

 

Gründung des ersten Kleingartenvereins

Der erste echte Kleingartenverein wurde im Jahr 1814 in Kappeln an der Schlei gegründet und ging aus einem bereits bestehenden Armengarten hervor. Was unterschied ihn von anderen Selbstversorgergärten? „Ganz einfach“, sagt Paetzelt. „Er war der Erste, der eine Gartenordnung hatte.“